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Nachrichten und Medienkompetenz: Orientierung in der neuen Medienwelt finden

„Alles was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“ schrieb der Soziologe Niklas Luhmann. Wenn man unter „Massenmedien“ auch soziale Medien wie Facebook oder YouTube versteht, ist diese Aussage aktueller denn je, denn Angebot und Vielfalt der Medien haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Medien werden rund um die Uhr, zuhause, unterwegs oder im Büro genutzt. Sie formen unser Bild von der Welt, strukturieren die Wahrnehmung und vermitteln zwischen dem Einzelnen und der Gesellschaft. 

Medien sind unverzichtbar für demokratische Gesellschaften: Insbesondere die Nachrichtenmedien sind zentrale Instrumente, um Bürgerinnen und Bürger über bedeutende Vorgänge in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur zu informieren und in vielfältiger Weise Öffentlichkeit herzustellen. Für die Meinungs- und Willensbildung der Bevölkerung spielen die medial vermittelten Informationen der Nachrichten eine entscheidende Rolle. Sie schaffen erst die Voraussetzung dafür, dass die komplexe Realität moderner Gesellschaften erkennbar und überschaubar wird. 

Damit Medien diese wichtigen Funktionen für demokratische Gesellschaften erfüllen können, bedarf es jedoch auch einer medienkompetenten Bürgerschaft: Erst wenn Bürgerinnen und Bürger Informationsmedien kritisch beurteilen, deren Wahrheitsgehalt hinterfragen, versteckte Wertmaßstäbe erkennen können und nicht auf Falschnachrichten und Verschwörungstheorien hereinfallen, sind sie in der Lage, ihre Meinung eigenständig und frei zu entwickeln. Insofern stellen der bewusste Umgang mit Nachrichten, die Kenntnis der Voraussetzungen und Möglichkeiten nachrichtenspezifischer Informationsvermittlung, das Wissen um die Grenzen einer objektiven Berichterstattung sowie die Kenntnis klassischer Muster von Verschwörungsideologien und Fake News wichtige Kompetenzen dar, um am demokratischen Gemeinwesen teilhaben zu können.

Nachrichtenmedien sind daher ein relevantes Thema, wenn es um die Förderung der Medienkompetenz von Jugendlichen geht. Was Nachrichten sind (aber auch, was sie nicht sind), durch welche Spezifika sie sich auszeichnen, wie sie informieren und wie Formate im Netz einzuschätzen sind, sind entsprechend zentrale Fragestellungen dieses Medienpaketes. Im Folgenden werden die wichtigsten Aspekte angedeutet, die Ausgangspunkt für die Entwicklung der Materialien waren.

Ereignisse, Nachrichten und die Grenzen der objektiven Berichterstattung

Auf einer grundlegenden Ebene lassen sich die Grenzen der objektiven Berichterstattung anhand des Verhältnisses von Ereignis und Nachricht deutlich machen. Im Vordergrund steht hierbei zunächst die Frage, wie ein Ereignis überhaupt zur Nachricht wird. Welche Merkmale muss ein Ereignis besitzen, damit darüber berichtet wird? Die von den Medienwissenschaften entwickelte Theorie der Nachrichtenfaktoren geht davon aus, dass sich Journalisten bei der Auswahl des Zeitgeschehens an bestimmten Ereignismerkmalen, den „Nachrichtenfaktoren“, orientieren. Diese reichen von Kontroverse (wie kontrovers ist das Thema?), Reichweite (wie groß ist der Kreis der Betroffenen?) bis hin zu Prominenz (wie bekannt sind die beteiligten Personen?) und vieles mehr. (1) Jedoch lassen sich diese Faktoren nicht verallgemeinern, da sie – je nach kulturellen, sozialen und ökonomischen Kontext, in dem die Nachrichten produziert werden – variieren können. Würden Journalisten verschiedenen Nachrichtenfaktoren nicht jeweils ein unterschiedliches Gewicht zuschreiben, so würden letztlich alle Medien gleich berichten.

Da dies nicht der Fall ist, ist davon auszugehen, dass auch individuelle Aufmerksamkeits- und Selektionskriterien eine Rolle spielen. Soziale Faktoren, Interessen, Wissen und Weltbilder der Journalisten beeinflussen, was als Ereignis wahrgenommen bzw. ob und wie darüber berichtet wird. (2) Insofern stößt der Objektivitätsanspruch der Nachrichten hier an seine Grenzen.

Zwar unterscheidet der Qualitätsjournalismus strikt zwischen tatsachen- und meinungszentrierten Darstellungsformen (z.B. Bericht vs. Kommentar), zu seinem Ethos gehört es, über ein Ereignis wahrheitsgetreu, unparteiisch und objektiv zu berichten. Doch wird der Anspruch auf Objektivität zunehmend auch von der eigenen Zunft in Frage gestellt. Kritiker wie der renommierte Journalist Glenn Greenwald bestreiten, dass es überhaupt möglich sei, sich gegenüber einer Tatsache oder einem Sachverhalt neutral zu verhalten. Jeder Journalist würde eine Agenda verfolgen. Ehrlicher wäre es, seinen Standpunkt und seine Sicht auf die Welt offenzulegen, statt sie unter dem Mantel der „Objektivität“ zu verstecken. Neben Ehrlichkeit und genauer Aufbereitung von Fakten sei diese Form von Transparenz das Wichtigste, um das Vertrauen der Leserschaft zu gewinnen. Viele etablierte Medienhäuser hätten das in sie erbrachte Vertrauen verspielt, weil sie zu lange ihre Agenda verschleiert hätten.

Die neue Unübersichtlichkeit: fünfte Gewalt und die Krise des Objektivitätsideals

Es zeichnet sich eine Entwicklung ab, in der die etablierten Massenmedien nicht mehr den medialen Informationsfluss steuern können. Mit den sozialen Medien ist eine neue Einflusssphäre – eine „fünfte Gewalt“ – entstanden, die sich neben die Exekutive, Legislative, Judikative und die vierte Gewalt der traditionellen Medien schiebt. Nach Ansicht des Medienforschers Bernhard Pörksen befinden wir uns gar im Übergang zu einer „Empörungsdemokratie“, in der Blogger, Twitterer, Netzaktivisten und Einzelne ihre Beiträge massenwirksam publizieren und die herkömmlichen Medien vor sich her treiben können. Diese „vernetzten Vielen“ würden die Entlarvungs- und Enthüllungsarbeit vorantreiben, Politiker stürzen und kluge Gegenöffentlichkeiten erschaffen. Sie würden jedoch auch Verschwörungstheorien, Propaganda und grausame Mobbingspektakel hervorbringen. (3)

Zu dieser fünften Gewalt gehören auch neuartige Nachrichtenangebote in den sozialen Netzwerken, die sich besonders bei jungen Menschen einer großen Beliebtheit erfreuen. Ein Beispiel hierfür ist Florian Mundt, der mit dem Künstlernamen „LeFloid“ einer der bekanntesten YouTuber in Deutschland ist. Sein Videokanal hat mittlerweile über 3-Millionen Abonnenten. Zweimal pro Woche kommentiert er in seinen „LeNews“ das Zeitgeschehen – mal kurz und pointiert, oft albern, oft plakativ und immer schnell geschnitten. Eine deutliche Trennung von Meinung und Fakten wird nicht vorgenommen. Statt neutraler Berichterstattung stehen meinungsgeladene Beiträge im Vordergrund, die seine persönliche Sicht auf die Dinge widerspiegeln. 

Die skizzierten Veränderungen der medialen Öffentlichkeit haben zu einer neuen Unübersichtlichkeit mit vielfältigen neuen Formen der Informationsvermittlung geführt, in der das klassische Objektivitätsideal des Qualitätsjournalismus an Boden verliert.

Fake News und Verschwörungstheorien

Verschärft hat sich die Situation, seit durch die Entwicklung der sozialen Medien Fake News und Verschwörungstheorien einen regelrechten Boom erfahren haben. Soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook ermöglichen es, Falschmeldungen zu aktuellen politischen Themen in kürzester Zeit massenhaft zu verbreiten. Je mehr sie emotionalisieren und negative Gefühle auslösen, desto mehr werden sie von den Nutzern beachtet und weiterverbreitet. (4) Die verbreiteten Inhalte werden umso mehr für vertrauenswürdig erachtet, wenn sie der eigenen Meinung entsprechen und von befreundeten Nutzern kommen. Zudem stellen die Algorithmen der sozialen Netzwerke sicher, dass die Nutzer vorrangig die Beiträge in ihrem Newsfeed zu sehen bekommen, die zu ihren eigenen Überzeugungen und Interessen passen – auch dies erhöht das Risiko, dass Fake News als glaubwürdig eingeschätzt werden. 

Nicht nur Falschmeldungen, sondern auch komplexe Verschwörungstheorien können eine massenhafte Verbreitung in den sozialen Medien erfahren. Als exemplarisch hierfür kann eine Behauptung gelten, die vor kurzem großen Einfluss in den sozialen Netzwerken erlangte: Bill Gates habe die Weltgesundheitsorganisation gekauft, um mit Corona-Impfungen die Menschen zu versklaven, indem heimlich Mikrochips zur Überwachung gespritzt würden. Verschwörungstheorien wie diese haben sich während der Pandemie weit verbreitet. Sie untergraben das Vertrauen in demokratische gewählte Regierungen, indem sie Meinungs- und Willensbildungsprozesse zerstören, die auf korrekte Informationen angewiesen sind. Wenn einer Gesellschaft die Fähigkeit abhanden kommt, sich bei aller Kontroverse zumindest auf gültige Fakten zu einigen, verunmöglicht dies die Möglichkeit demokratisch getragener Entscheidungen.

Medienkompetenz: Orientierungswissen für die digitale Medienwelt

In einer Situation, in der der das Objektivitätsideal des Journalismus zunehmend in Frage gestellt ist und das Verhältnis von „Wahrheit“, Tatsache und Meinung auf vielfältige Weise neu gemischt wird, fällt Orientierung schwer: Welchen Medien kann man noch trauen? Warum und anhand welcher Kriterien? Helfen und unterstützen kann in dieser Situation Orientierungswissen, dass den Einzelnen in die Lage versetzt, für sich selbst Kriterien zur Einschätzung und Bewertung medialer Angebote zu entwickeln. Das Wissen um die Arbeits- und Funktionsweise von Medien, ihre Darstellungsformen und Wirkmechanismen stellt hierfür eine wichtige Voraussetzung dar.

Je nach Darstellungsform kann ein Ereignis auf verschiedene Weise mitgeteilt werden. In einer Zeitung kann derselbe Sachverhalt etwa als kurze Meldung, längerer Bericht oder ausführliche Reportage übermittelt werden. Dabei wirkt die jeweilige Form auf den Inhalt zurück: Je nach Darstellungsform wird ein anderes Bild – kurz und knapp, ausführlicher mit Hintergrundinformationen oder persönlich gefärbt durch die Augen eines teilnehmenden Beobachters – gezeichnet. Die verwendete Sprache ist nie frei von Wertungen und kann einen Sachverhalt in unterschiedlichem Licht erscheinen lassen. Je nach Wortwahl können bei den Lesern unterschiedliche Assoziationsräume evoziert werden. Ob ein Politiker „Maßnahmen erwägt“ oder „mit Maßnahmen droht“ scheint auf den ersten Blick unerheblich zu sein, wirkt aber ganz verschieden: Im ersten Fall kann das Bild eines vorsichtigen, aber staatsmännischen, im zweiten eines forschen, aber tendenziell irrationalen Politikers hervorgerufen werden. Den gleichen Einfluss auf die Wirkung haben die Gestaltungsmittel in Bewegtbildmedien wie das Fernsehen. In mehreren Studien zeigte sich, dass identische Inhalte unterschiedlich wirken, wenn man die Gestaltung (z.B. Kameraeinstellung oder Schnittfrequenz) variiert. So konnte nachgewiesen werden, dass die Bewertung von Politikern beispielsweise als kompetent oder sympathisch von der Kameraeinstellung abhängt, in der sie aufgenommen wurden. (5)

Die Kenntnis dieser Einflussmöglichkeiten von Medien kann davor schützen, der Beeinflussung unwissentlich ausgeliefert zu sein. Es ist daher sinnvoll, dass Jugendliche sich mit den Darstellungs- und Gestaltungsformen unterschiedlicher Informationsmedien sowie den Mustern und Merkmalen von Fake News und Verschwörungstheorien näher auseinandersetzen. Wenn sie der Wirkung dieser Formen und Muster anhand der eigenen Rezeption nachgehen, sensibilisiert sie dies für mögliche Manipulationsweisen. Die Analyse der formalen, stilistischen und inhaltlichen Merkmale einer Meldung kann ihren Blick dafür schärfen, welchen Anteil diese jeweils an der Vermittlung von Informationen haben. Sie können sich ein Bild darüber machen, wie mit Fakten, Quellen und dem persönlichen Standpunkt des Autors umgegangen wird. Jugendliche werden dadurch in die Lage versetzt, Kriterien für die Glaubwürdigkeit von Medien zu entwickeln. Auf diese Weise können ihnen entscheidende Kompetenzen für die Orientierung in der digitalen Medienwelt mit auf den Weg gegeben werden.

Die Veränderungen der Medienwelt aufzugreifen und Jugendliche zu einem souveränen Umgang mit modernen Medienangeboten zu befähigen, stellt eine wichtige Aufgabe der Medienkompetenzvermittlung dar. Die Materialien des vorliegenden Medienpakets können hierzu einen Beitrag leisten.


(1) Vgl. Georg Ruhrmann, Roland Göbbel: Veränderungen der Nachrichtenfaktoren und Auswirkungen auf die journalistische Praxis in Deutschland. Abschlussbericht für netzwerk recherche e.V., 2007
(2) Siehe hierzu die Studie von Cornelia Mothes: Objektivität als professionelles Abgrenzungskriterium im Journalismus. Eine dissonanztheoretische Studie zum Informationsverhalten von Journalisten und Nicht-Journalisten, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden, 2014
(3) Vgl. Bernhard Pörksen: Die fünfte Gewalt des digitalen Zeitalters, in: Cicero 17.04.2015, www.cicero.de/berliner-republik/trolle-empoerungsjunkies-und-kluge-koepfe-die-fuenfte-gewalt-des-digitalen (letzter Abruf: 06.10.2022)
(4) Vgl. Studie North Carolina State University: The presumed influence of digital misinformation: examining US public’s support for governmental restrictions versus corrective action in the COVID-19 pandemic, Veröffentlichungsdatum des Artikels: 02.12.2020, www.emerald.com/insight/content/doi/10.1108/OIR-08-2020-0386/full/html (letzter Abruf: 06.10.2022)
(5) Siegfried Frey: Die Macht des Bildes. Der Einfluss der nonverbalen Kommunikation auf Kultur und Politik, Verlag Hans Huber, Bern, 1999

Bildnachweise:

Bild 1: © Photo by Siora Photography on Unsplash
Bild 2: © „N24-Reporter mit Kameramann - Köln (7344)“ von Raimond Spekking. CC-BY-SA 4.0 über Wikimedia Commons 
Bild 3: © By Robert O'Neill (Own work) CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Bild 4: © By re:publica from Germany (republica 2014, Tag 2 - LeFloid aka Florian Mundt) CC BY 2.0 via Wikimedia Commons
Bild 5: © Photo by Kajetan Sumila on Unsplash
Bild 6: © Bild von fancycrave1 auf Pixabay